„Wenn alles zu viel wird“ titelte der SPIEGEL am 15. Mai 2022 und landete damit einen Volltreffer.
Denn genau dieses Gefühl haben immer mehr Menschen: „Es wird mir alles zu viel“, und sie leiden unter Schlafstörungen, ständiger Anspannung und Nervosität. Ihre Lebensfreude schwindet.
Wenn Sie mit diesen Symptomen zum Arzt gehen, wird dieser wahrscheinlich zunächst eine Überlastung diagnostizieren. Vielleicht verschreibt er Ihnen Medikamente, um über die schwierige Phase hinwegzuhelfen.
Das Problem verschärft sich allerdings, wenn Sie Ihre Beschwerden trotz der Medikamente nicht loswerden.
Und Sie fragen sich: Was ist da los? Was stimmt nicht mit mir?
Eine Antwort kann sein: Sie leiden unter einer Generalisierten Angststörung.
In diesem Text beantworte ich Ihnen drei Fragen:
- Was ist eine Generalisierte Angststörung (GAS)?
- Sind Sie selbst davon betroffen?
- Und falls ja: Was können Sie dagegen unternehmen?
Was ist eine Generalisierte Angststörung (GAS)?
Die Generalisierte Angststörung (GAS) ist eine ernsthafte chronische Erkrankung: Sie nimmt Ihnen die Lebensfreude, sie macht sie angespannt und nervös. sie plagt Sie womöglich auch mit körperlichen Schmerzen. Die GAS lässt sie schlecht schlafen, das macht Sie gereizt und das wiederum wirkt sich negativ auf Ihre privaten und beruflichen Beziehungen aus.
Die Generalisierte Angststörung ist nicht leicht zu erkennen und wird von Ärzten oft übersehen. Der Arzt kümmert sich meist um die körperlichen Symptome: Medikamente zur Beruhigung, Massagen für die Muskelverspannungen, Tabletten für die Schmerzen. Deshalb kommen die Betroffenen oft erst nach einer mehrjährigen Odyssee durch die Arztpraxen in psychotherapeutische Behandlung, wo endlich dem Problem auf den Grund gegangen wird.
Hinter den Symptomen stecken oft chronische, anhaltende Ängste, die allerdings so schleichend eingesetzt haben, dass der Betroffene sie oft gar nicht als solche wahrnimmt. Von GAS-Patienten hört man Sätze wie „ich habe mir schon immer viele Sorgen gemacht“ oder „ich war schon immer eher ängstlich und zurückhaltend“.
Sich zu sorgen ist übrigens ganz normal, das machen alle Menschen. Typische Sorgen-Themen sind: zwischenmenschliche Beziehungen, Familie, Beruf, Gesundheit, Finanzen, Politik/Umwelt und Alltagsstress. Der Gesunde Mensch hört irgendwann auf, sich Sorgen zu einem Thema machen, weil er eine Lösung gefunden hat oder weil er durch einen anderen Gedanken abgelenkt worden ist.

Der Patient, der unter einer Generalisierten Angststörung leidet, sorgt sich um die gleichen Themen. Allerdings bleibt er im Sorgenstrudel stecken, ein sorgenvoller Gedanke führt zum nächsten. Er ist weit weg vom konstruktiven Denken. Deshalb findet er findet keine Lösungen und er kann nicht aufhören, sich zu sorgen.
Also: Bei der Generalisierten Angststörung wird die Angst Ihr ständiger Begleiter: Sie leiden unter chronischer, anhaltender Angst. Ihre Gedanken kreisen um Ihre Sorgen. Deshalb fühlen Sie sich permanent angespannt und nervös. Lebensfreude? Fehlanzeige.
Leiden Sie unter einer Generalisierten Angststörung?
Hier sind Kriterien, anhand derer Sie feststellen können, ob Sie unter einer Generalisierten Angststörung leiden. Grundlage sind die offiziellen Diagnose-Instrumente DSM-5 und ICD-10.
- Sie leiden seit mindestens sechs Monaten unter Anspannung, Sorgen und Befürchtungen in Bezug auf alltägliche Ereignisse, Tätigkeiten und Probleme. Das Leiden betrifft die Mehrzahl der Tage.
- Sie haben Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren. Das heißt, Sie können nicht einfach aufhören sich zu sorgen. Sie haben das Gefühl, dass sich die Gedanken verselbstständigen: Gedankenkarussell; Sorgenstrudel, in den Sie hineingezogen werden.
- Sie hatten mindestens drei der folgenden Symptome:
- Ruhelosigkeit
- Nervöse Anspannung
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Reizbarkeit
- Muskelspannung (z.B. Rückenschmerz)
- Schlafstörungen: Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten oder unruhiger, nicht erholsamer Schlaf
- Angst Sorgen oder körperliche Symptome verursachten Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Wenn einige oder alle Kriterien auf Sie zutreffen und Sie Leidensdruck verspüren, lassen Sie sich am besten einmal von einem Psychologen durchchecken. Dieser wird treffsicher feststellen können, an was Sie leiden und er wird wissen, was zu tun ist, damit Sie Ihr Leiden loswerden und wieder mehr Lebensfreude bekommen.
Achtung: Symptome, die dem der generalisierten Angststörung ähneln, können auch durch eine Schilddrüsenüberfunktion ausgelöst sein. Dies sollten Sie von Ihrem Arzt abklären lassen.
Wie entsteht eine Generalisierte Angststörung?
Wenn es Ihnen geht, wie den meisten meiner Patient*innen, dann wollen Sie wissen, wie Ihre Generelle Angststörung entstanden ist.
Man geht heute davon aus, dass die Generalisierte Angststörung – wie übrigens die meisten psychischen Störungen – auf drei Faktoren zurückgeht: 1. Persönliche Anfälligkeit (Vulnerabilität); 2. Auslösende Bedingungen; 3. Aufrechterhaltende Faktoren. Sehen wir uns das doch einmal etwas detaillierter an.
1. Persönliche Anfälligkeit (Vulnerabilität).
Ja, Menschen unterscheiden sich in Ihrer Anfälligkeit für psychische Störungen.
Die Genetik spielt eine Rolle: Sie haben eine erhöhte Anfälligkeit für die Generalisierte Angststörung, wenn Sie Anlagen für Nervosität, Neurotizismus und Ängstlichkeit geerbt haben. Personen mit diesem Temperament neigen dazu, in fremden Situationen eher mit Rückzug und Vermeidung zu reagieren.
Weiter geht es mit neuro-biologischen Faktoren: Bei Patienten mit einer Generalisierten Angststörung reagiert das Bedrohungszentrum im Mittelhirn (Mandelkern, lateinisch: Amygdala) besonders stark auf mögliche Gefahren, zum Beispiel auf sozial bedrohliche Reize.
Schließlich sind es Ihre Lernerfahrungen, die Ihre Anfälligkeit für die Generalisierte Angststörung bestimmt. Im Laufe unseres Lebens machen wir Erfahrungen mit Situationen und Herausforderungen des Lebens. Wir entwickeln Herangehensweisen und Bewältigungsstrategien. Und wenn uns unsere Genetik vorgibt, eher mit Rückzug und Vermeidung zu reagieren, dann besteht die Gefahr, dass wir wenig effektive Strategien im Umgang mit dem Leben entwickeln.
2. Auslösende Bedingungen
Es sind Stressfaktoren, die die Generalisierte Angststörung auslösen. Akute bedrohliche Ereignisse wie drohende Arbeitslosigkeit, befürchtete Trennung vom Partner oder finanzielle Sorgen können die Angststörung auslösen. Oft ist es auch chronischer Stress, der die Krankheit auslöst: Hohe Belastung im Job, anstrengende Familie, Pflege von Angehörigen etc.
Wenn Sie außerdem zu der Erwartung neigen, den Herausforderungen nicht gewachsen zu sein, sind Sie gefährdet, eine Generalisierte Angststörung zu bekommen.
3. Aufrechterhaltende Faktoren
Und warum verschwindet die Generalisierte Angststörung nicht wieder von allein? Andere Krankheiten, wie ein aufgeschlagenes Knie heilen doch auch, ohne dass Sie etwas dafür tun müssten. Das liegt an den Faktoren, die die Krankheit aufrecht erhalten. Stellen Sie sich vor, Sie würden jeden Tag, die verheilende Kruste von Ihrer Knieverletzung abkratzen. Das Knie würde nicht verheilen. Vielleicht entzündet sich die Wunde sogar. Genau so funktionieren die Faktoren, die die Generalisierte Angststörung aufrecht erhalten:
- Gestörte Aufmerksamkeitssteuerung: Patienten mit Generalisierter Angststörung neigen dazu, Ihre Aufmerksamkeit auf negative Gedanken zu richten, die Ihre Sorgen auslösen.
- Gedanken können nicht kontrolliert oder gestoppt werden: Wenn Sie einmal begonnen haben, sich Sorgen zu machen, geraten Patienten in ein negatives Gedankenkreisen hinein, das sie nicht stoppen können. Sie kommen aus dem Strudel nicht mehr hinaus.
- Nicht zielführende Bewältigungsstrategien: Patienten hoffen, dass sich Ihre Befürchtungen durch Sorgenmachen bewältigen lassen. Leider funktioniert das nicht. Ganz im Gegenteil: Das Leiden verschärft und verlängert sich.
Diese drei Faktoren sorgen dafür, dass Ihre Krankheit nicht von allein heilt.


Was können Sie gegen eine Generalisierte Angststörung unternehmen? Kognitive Verhaltenstherapie und Metakognitive Therapie
Der aktuelle Stand der Wissenschaft sagt: Wenn Sie Ihre Generalisierte Angststörung schnell und nachhaltig loswerden wollen, hilft Ihnen die Psychotherapie – besser als jedes Medikament. Als besonders effektiv haben sich die Kognitive Verhaltenstherapie und die Metakognitive Therapie erweisen.
Bei diesen Therapien packen Sie die Wurzel des Übels an, nämlich Ihre mentalen Prozesse rund um die drei Faktoren, die die Krankheit aufrecht erhalten.
- Aufmerksamkeit steuern: Sie lernen, wie Sie die Aufmerksamkeit bewusst wegsteuern können von den Gedanken, die Sie krank machen.
- Gedanken kontrollieren: Sie erfahren, wie Sie das Gedankenkarussell wirksam stoppen können, damit Sie zurückfinden in das konstruktive Denken.
- Zielführende Bewältigungsstrategien entwickeln: Sie machen sich vertraut mit Strategien, die Ihnen helfen, mit den Belastungen des Lebens wirkungsvoll umzugehen.
Auch wenn Sie genetisch vorbelastet sind: Dieses Vorgehen funktioniert. Sie werden Ihre Sorgen und Ängste los, Sie packen die Herausforderungen des Lebens mit Zuversicht an und Sie werden endlich wieder mehr Lebensfreude spüren.